Katholische Kirche und DFB – Mechanismen der Krise
Am letzten Dienstag verlor die Deutsche Nationalmannschaft ihr entscheidendes Spiel in der „Nations League“ gegen Spanien. Mit 0:6. Ein historische Desaster.
Die Reaktion des DFB? Erst einmal gar keine. Dann hieß es, man will prüfen. Wie man auch in den letzten Jahren nach anderen historischen Pleiten geprüft und anschließend einen Neuaufbau angekündigt hat.
In den letzten Jahren versinkt der Deutsche Fußballbund in einem tiefen Morast aus sportlicher Erfolglosigkeit, Korruptionsvorwürfen und internem Theater. Das sonst mehr als gewogene deutsche Fußballpublikum wendet sich ab. Zuerst polternd, dann gelangweilt und resigniert.
Reaktion des DFB? Man will prüfen.
Der Deutsche Fußballbund ist jedoch nicht die einzige Institution, die gerade in den letzten Tagen ein dickes Eigentor geschossen hat: der Kölner Erzbischof, Kardinal Woelki, kündigt an, das über sein Bistum angefertigte Gutachten, das sich mit den Missbrauchsfällen der letzten Jahrzehnte befasst, entgegen früherer Ankündigungen nicht zu veröffentlichen. Dass dabei die Vertreter der Opfer ihre Zustimmung geben sollten, ohne das Gutachten auch nur gelesen zu haben, ist nur noch ein Nebenschauplatz dieser traurigen Posse.
Die Öffentlichkeit reibt sich verwundert die Augen angesichts dieses völligen Unwillens, eigenes Unrecht aufzuarbeiten und transparent zu machen.
Seit Jahren geht es so. Die Deutsche Bischofskonferenz beauftragt eine wissenschaftliche Untersuchung der Missbrauchsfälle in den deutschen Bistümern und macht dann das, was man sich eigentlich nicht vorstellen kann: bricht diese Untersuchung ab mit der Begründung, dass es ja nicht angehen könnte, dass die Wissenschaftler ein Ergebnis veröffentlichen, das nicht vorher abgesprochen sei.
Nicht nur ein kommunikatives, sondern auch ein inhaltliches 0:6 der Katholischen Kirche.
Die Katholische Kirche und der DFB sind sich sehr ähnlich. Zwei Giganten taumeln ihrem Untergang entgegen. Der Zuschauer weiß nicht genau, ob die beiden überhaupt richtig gemerkt haben, was da mit ihnen passiert. Sie taumeln dem Untergang entgegen und scheinen beide in einer Schockstarre nicht reagieren zu können. Weshalb der Untergang weitergeht. Mal laut, mal leise.
Ich selbst war die meiste Zeit meines Lebens sehr tief mit diesen beiden Giganten verbunden: als Priester der katholischen Kirche und als Fan der deutschen Nationalmannschaft. Mittlerweile habe ich beiden Institutionen gegenüber ein sehr distanziertes Verhältnis, das geprägt ist von Erstaunen und Unglauben über diesen Unwillen, überhaupt zu reagieren.
Natürlich hat die Kirche in meinem Leben auf einer ganz anderen Ebene eine andere Bedeutung gehabt als der DFB. Trotzdem lohnt sich ein gemeinsamer Blick auf die beiden, weil in beiden die gleichen unheilvollen Mechanismen am Werk sind.
Ein Blick auf zwei untergehende Giganten.
Welche Faktoren sind es, die hier am Werk sind?
Grundsätzlich befinden sich die Katholische Kirche und der DFB in einem Monopol. Sie sind beide einmalig und haben eigentlich keine Konkurrenz. Natürlich gibt es auch eine Evangelische Kirche und natürlich gibt es auch andere Sportarten, aber das spielt für die beiden Monopolisten eigentlich keine große Rolle. Auch weil die Konkurrenz nicht besser dasteht. Entsprechend wandern die untreuen Katholiken und Fußballfans nicht zur Konkurrenz, sondern legen ihre Hände in den Schoß: der Kirchgang bzw. die Kirchensteuer fällt weg. Der Fußballabend mit Jogi auch.
Dies lässt das Monopol intakt erscheinen und macht es für den Monopolisten schwer, den Punkt zu erkennen, an dem man reagieren muss. Entsprechend geht es dann weiter.
Was passiert dann?
Phase 1: Macht nichts!
Zuerst kommt die „Macht nichts!“-Haltung. Gut, die Zahlen gehen runter, das kann passieren, hat es immer schon gegeben. Das wird wieder besser. Unser Produkt stimmt ja eigentlich.
Wenige Tage vor dem Spanienspiel gab der DFB-Sportmanager Bierhoff ein Interview. Tenor: eigentlich passt doch alles. Die guten Ergebnisse werden schon wiederkommen. In der katholischen Kirche gibt es seit Jahrzehnten immer wieder die Meinung: unsere Botschaft stimmt ja, es wird wieder aufwärts gehen. Und wenn nicht: geht auch. So schlimm wird es schon nicht werden.
So äußerte der damalige Kardinal Ratzinger in einem Interview mit einem Blick auf Deutschland, dass es eben passieren könnte, dass die Kirche in einem Land mal untergeht. Oder der damalige Essener Kardinal Hengsbach, der auf die leeren Kirchen angesprochen wurde: „Bitte? Ich habe noch keine leere Kirche gesehen. Wenn ich komme, ist die Kirche voll!“ Zum einen geht die Kirche nicht unter, und wenn ja, ist es auch nicht schlimm.
Phase 2: Verschleiern
Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem die Institution merkt, dass die Krise doch etwas heftiger ausfällt als erwartet und man reagieren muss. Also reagiert man. Ohne zu reagieren. Getreu dem berühmten Motto aus „Der Leopard“: alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.
Es werden Änderungen angekündigt oder auch durchgeführt, die die Leute zufriedenstellen sollen, aber nichts an der Problemlage ändern. Dann wird mal wieder ein DFB-Präsidium wegen Korruption entlassen oder Franz Beckenbauer wird ein Jahr im Fernsehen nicht interviewt. Aufarbeitung der Korruption? Fehlanzeige.
Dann tritt ein Bischof zurück wegen etwas üppiger Bauvorhaben, bekommt aber direkt den nächsten guten Posten in der Zentrale. Dann werden große Untersuchungen zu Missbrauchsfällen angekündigt, die entweder gestoppt oder nicht veröffentlicht werden. Dann werden in Rom große Kommissionen eingerichtet, Reformen in der Kirche voranzutreiben, von denen man nie wieder etwas hört.
Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.
Phase 3: Internes Zerreißen
Natürlich kann die Phase „Verschleiern“ nicht ewig dauern. Vielen wird klar: so geht es nicht weiter! Die Medien entdecken immer mehr unschöne Dinge, auch intern wird der Druck immer größer. Nun kommt die Phase des „Internen Zerreißens“: oben kämpft gegen unten, rechts kämpft gegen links, jeder gegen jeden. Beim DFB gehen die Landesverbände und die Amateurvereine an die Decke, in der katholischen Kirche zerfleischen sich Konservative und Liberale, Kleriker und Laien schieben sich die Schuld an der Krise zu.
Phase 4: Ändern oder Untergehen
Die Phase des „Internen Zerreißens“ kann zu zwei Dingen führen: der Laden fliegt komplett auseinander – es kommt zur Spaltung oder Auflösung – oder er reformiert sich. Wie es bei Sportverbänden schon Spaltungen gegeben hat, ist dieses Thema natürlich auch in der katholischen Kirche nicht völlig fremd. Martin Luther lässt grüßen.
Beide Institutionen – DFB wie Katholische Kirche – stehen an einem wichtigen Scheidepunkt. Folgendes ist inhaltlich in den letzten Jahren an der Spitze passiert: die Führungseliten beider Institutionen haben erkannt, dass es ein noch deutlicheres Signal zum Reformwillen braucht. Also wurde interessanterweise in beiden Institutionen eine Person an die Spitze gewählt, die sich sehr ähnlich sind: Papst Franziskus wie DFB-Präsident Fritz Keller waren nie Teil des internen Führungszirkels, gelten als reformorientiert, sind aber gleichzeitig nicht in der Lage, schwerwiegende strukturelle Reformen durchzuführen.
Die Wahl dieser beiden ist also durchaus eine Verlängerung der „Verschleierungstaktik“ der führenden Eliten in den beiden Institutionen. Was aber nun passiert – und so bestimmt nicht geplant war – Papst Franziskus und Fritz Keller reformieren zwar nicht strukturell ihre Institutionen, aber sie schaffen durch ihren offenen, nicht eingreifenden Führungsstil neue Diskussionsräume, die sich für ihre Nachfolger nicht mehr schließen lassen und langfristig zu dem Druck führen können, echte Reformen anzugehen.
Es ist wahrscheinlich, dass sich bei den nächsten Wahlen die alten Eliten noch einmal durchsetzen, um wieder „für Ruhe zu sorgen“. Durch die neue, offene Diskussionskultur wird das aber nicht mehr möglich sein. Dann entscheidet sich, in welche Richtung sich die Institution entwickelt: Ändern oder Untergang. Dann kommt entweder die Zeit tiefgreifender Reformen oder der Absturz.
Katholische Kirche und DFB
Die oben beschriebenen Phasen laufen natürlich nicht immer so klar und deutlich voneinander abgrenzbar ab. Es gibt Teile des DFB oder der Kirche, die sind schon bei Phase 4 (dann treten sie aus) oder bei Phase 2. Diese Phasen verschwimmen oft und diese Ungleichzeitigkeiten befeuern natürlich die Konflikte.
Letztlich leiden beide Institutionen daran, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse so geändert haben, dass Reformen nötig sind, um die alte gesellschaftliche Größe und Bedeutung zu erhalten. Beide Institutionen werden von einer Führungsschicht geleitet, die nicht von außen eingesetzt wird (wie in der Politik durch Wahlen oder in der Wirtschaft durch den Markt), sondern intern sich selbst erneuert: Kooptation.
Dies führt zu einer Elite, die logischerweise konservativ ist, insofern sie den Status quo der Institution (und dabei auch ihren eigenen) bewahren will. In bestimmten Mechanismen lädt sich Druck auf, den die führenden Leiter der Institutionen schrittweise entladen wollen. Was auf Dauer nicht funktioniert.
Es ist schwer, Prognosen für die beiden Institutionen abzugeben. Dazu braucht es nicht nur eine genaue Analyse des Problems. Die liegen seit Jahren – im Falle der katholischen Kirche seit Jahrzehnten – auf dem Tisch. Die Frage ist, ob diese Analysen auch in der Führungsetage der Institutionen als gültig anerkannt werden, damit tiefgreifende Reformen möglich sind, die die Probleme auch lösen, die zur Krise führen.
Letztlich ist es leider ein schnöde Machtfrage. Es geht nicht um die Inhalte (die liegen auf dem Tisch), sondern um die Macht, über Inhalte zu entscheiden. Das Ergebnis in beiden Institutionen wird ganz wesentlich davon abhängen, ob die „Reformer“ den Durchhaltewillen und die Durchsetzungsfähigkeit haben, diesen Kampf für sich zu entscheiden. Dazu braucht es vor allem mehr Organisationfähigkeit als bisher, weil die logischerweise immer mehr in der Führungsschicht der Institition vorhanden ist.
Beide Institutionen sind aufgrund ihrer Monopolstellung Sonderfälle. Dies gilt natürlich in besonderer Weise für die Katholische Kirche mit ihrer Größe und ihrer Geschichte. Die Mechanismen, denen sie aber unterliegen, sind in jedem Unternehmen, Verband, Verein und jeder Partei vorhanden. Überall geht es darum, wer wie Entscheidungen für die gesamte Gruppierung treffen kann, wie Veränderungen durchgeführt oder verhindert werden.
Jedes Unternehmen und jede Gruppierung braucht die gesunde Balance zwischen einer ausreichenden Veränderungsbereitschaft, aber auch dem Wissen um eine eigene, nur schwer veränderbare Identität, ein Profil. Was Teil der Identität ist und was verändert werden muss: die Fähigkeit, das zu erkennen, entscheidet über das Leben eines Unternehmens oder eines Vereins. Und diese Fähigkeit wird auch über das Leben des DFB und der katholischen Kirche entscheiden.